Marion Alexandra Heitmann
 
 


 WEGBESCHREIBUNG 1
Die biographische Landschaft


„Es hat sich gefügt, dass ich bin und schaue.“

(Wislawa Szymborska: Es darf ohne Überschrift bleiben. In: dies.: Auf Wiedersehn. Bis morgen. – Frankfurt a. M. 1995)



MARION ALEXANDRA HEITMANN geboren 1976 in Tübingen, aufgewachsen im Allgäu mit viel Geschwisterei und Tieren zuhauf. Prägender noch, im Sinne einer Herkunft, war die frühe Verlagerung ihrer geistigen Heimat in die Bergwelt. Seinsgrund bot in vielerlei Hinsicht und Gestalt dort der See, IHR See, der in Freiräumen Erlebnisse zeitigte und Reflexion. Und so wurde Heiterwang in Tirol zum ursprünglichsten Sehnsuchtsort, zu ihrem persönlichen Land des Lächelns, zum Ausgangspunkt aller freien Bewegung über Gipfel und Almen, die sich bis heute in Erinnerungsspuren einschürft – als dies tiefe, tiefe Glück, Bergrücken zu spüren.

Ein Studium der Chemie im nämlichen Land führte zum Brotberuf. Einladungen des Zufalls, die Schönheit der Logik und die zielstrebigen Räderwerke dieser Berufswelt erweiterten den Spielraum. Sie arbeitete in Manchester und Frankfurt am Main und widmete die sachdienlichere Hälfte ihres Doppellebens aus Chemie und Kunst der Forschung in Wien und Biberach, wo sie ihren beruflichen Schwerpunkt ins Feld der Proteinkristallisation verlegte.

Reisen nach Australien, Bhutan, Indien, Nepal, Vietnam, Kambodscha, Brasilien usw. schärften die Werkzeuge ihrer Art der Weltwahrnehmung – eine stille Form der Neugier: die Lust, das Andere, die Anderen und sich selbst als Neuland und in der Bewegung durch Neues im Außen zu erfahren. Die Farben dieser Art Ferne haben Marion Heitmann früh ergriffen und nicht mehr losgelassen – und doch ist es vornehmlich jene des europäischen Ostens – wie in Rumänien, in der Slowakei, in Polen oder im Je-ne-sais-quoi von Wien – die sie, wie sie sagt, am meisten anfasst. In dieser Melancholie, im Zusammenhang solcher Nebel lässt sie sich am leichtesten ein auf die unerlässliche Zumutung, die das Malen notwendig macht.




WEGBESCHREIBUNG 2
oder Wie kommt der Igel ins Bild?


„So hätte man anfangen sollen: Himmel.
Ein Fenster ohne Brett, ohne Rahmen, ohne Glas.
Eine Öffnung und sonst nichts,
doch weit offen.“

(Wislawa Szymborska: Himmel. In: dies.: Auf Wiedersehn. Bis morgen. – Frankfurt a. M. 1995)



Begonnen aber hat das Malen als Abmalen, in der kindlichsten Variante: Das Abmalen von Dingen, wie es in der Schule zu den ersten Hausaufgaben zählt. Blätter, ein Igel... Und so entwickelte sich hinreichend spektakulär in diesem Zusammenhang auch zum ersten Mal das Abenteuer schöpferischer Erfahrung: Wer Blätter abmalen soll, dem müssen sie zunächst einmal zufallen, eine Auswahl ist zu treffen aus dem Sammelsurium, und dann ergeben sich Blickwinkel, denn: wie wäre denn etwas darzustellen? Und wie kommt der Igel ins Bild? So begann bereits in der Lebenswelt des Kindlichen die grundlegende Erkenntnis zu wurzeln, dass eine Aufnahme von Realität sich durch Komposition ereignet und nicht in der Kopie. Die Motivation ergab sich aus Fragen der Empathie: Wie muss der Blätterhaufen konzipiert sein, damit der Igel sich wohlfühlen kann. So war Malen am Anfang eine Möglichkeit, Innenraum zu schaffen, Einrichtungen eines schönen Seins, Schutzräume, in denen, wer immer es sein sollte, der eintrat, und sei es nur die Malende allein, ganz bei sich sein konnte. Und immer waren es Räume mit Menschen, Frauen vor allem, und die Wege, die in deren Welten hineinführen oder darüber hinaus –




WEGBESCHREIBUNG 3
In den Schlieren der Malwut


„[...] falls ich gesucht werden sollte.
Meine besonderen Kennzeichen sind:
Ich begeistere mich und verzweifle.“

(Wislawa Szymborska: Himmel. In: dies.: Auf Wiedersehn. Bis morgen. – Frankfurt a. M. 1995)



Grundgangarten in Marion Heitmanns Malerei sind Abzweigung und Überlagerung. Nie agiert sie flächig; es sind die kleinen Episoden im Farbauftrag, die Wege werden, aus deren Verlauf dann abzuzweigen ist. Einige laden zu Abschweifungen ein, andere streichen Nebensächlicheres als Kreuzung aus, fordern die grundsätzlich unmögliche klare Entscheidung über den weiteren Weg. Überlagerungen sind ihre Bilder vor allem im Sinne überlagerter Gefühle; jedes ihrer Werke ist eine von Geschichten überzeichnete Geschichte von Geschichten, niemals reiner Spiegel reiner Quelle.

Sichtbar wird das Schichtwerk der vielfachen Überlagerungen in vielerlei Weise: Spuren solch überlagerter Abzweigungen können Schleier sein, Schlieren, eine Hornhaut aus immer dichter übereinander aufgetragenen Farben oder jene Art Nebel, die so schwer zu lokalisieren ist – Vor den Augen oder im Blick der dargestellten Figur? Zwischen den Ausführungen der Malenden und dem Bild, das sie im Kopf hat oder fürchtet, (sich) zu machen? Im Auge des Betrachters? Jedes Bild stellt auf eine andere Art und immer von Neuem eine Frage als Antwort auf diese Frage: Wo finden die Übermalungen statt?

Das ästhetische Phänomen reflektiert sich im Arbeitsprozess. Weit ist der Weg bis zur weißen Leinwand, nicht selten führt er über eine Konzeption. Und niemals wird ein Konzept direkt umgesetzt. „Es ist nicht zu sagen, wohin es gehen kann; ich trage auf und sehe erst anhand der Gegebenheit, wie es weitergeht.“ So beschreibt Marion Heitmann die unausweichliche Unwägbarkeit im Prozess. „Tag für Tag verwandelt sich so das Bild. Die Schleier können nicht gelüftet werden“. Sie malt mit dem doppelten Augenpaar der (Ent)Täuschung.

"[...] It begins as a lump in the throat, a sense of wrong, a homesickness, a loneliness. It is never a thought to begin with. It is at its best when it is a tantalizing vagueness.“ (Robert Frost) „Und nie könnte ich sagen, ein Bild ist fertig. Es ist eher ein Aussöhnen.“ Denn immer überlagern neue Schichten das Bild – als würde es hinter ins Unendliche wuchernde Vorhänge zurückweichen, verhangen von immer weiteren Nebeln.

Zwischen den Stadien: der Sog des Malenmüssens. „Dieser Malzwang, sagt Marion Heitmann, „ist nie ein gutes Gefühl“. Man könne schlecht so tun, als würde man sich freiwillig auf einen Mahlstrom einlassen. Und in diesem Strudel dann: „die andauernde Konfrontation mit der eigenen ätzenden Unentschlossenheit, mit der Angst, dass der nächste Strich vielleicht der falsche Schritt sein könnte. Schwierig auch, daraus wieder zurückzufinden...“ Auch in diesem Sinn sei Malen ein körperlicher Angriff. „Kein gelassen-vor-mich-Hinpinseln jedenfalls.“ Extreme Wut. Kraft. Aggression. Und: „Es ist ein Weinen mit mir beim Malen.“ Nicht selten tragen die Bilder Narben davon.

Text: Marion Vera Forster